Diese Frage habe ich mir in letzter Zeit häufiger gestellt. In diesem Jahr, gestern, heute, jetzt. 2020 begann für die meisten von uns heftig. Es begann mit einer schwierigen, einer bedrohlichen, einer außer Kontrolle geratenen Situation, einer alles verändernden Zeit.
Wir alle haben gelitten und gebangt: Habe ich mich angesteckt, bekomme ich oder hatte ich COVID 19?
Wie schwierig, wie heftig die Situation für den Einzelnen war, hing neben der geografischen Lage auch von der individuellen Situation ab: Single-Haushalt oder mehrköpfige Familie? Ein Einkommen, zwei oder keines? Angestellt oder freiberuflich? Systemrelevante Arbeit, keine systemrelevante Arbeit, Vorerkrankungen, Angehörige, die betreut werden mussten, etc. pp. und auch Kombinationen von all dessen.
Wie konnte das passieren?
Diese Frage hat sich jeder gestellt. Und auch: Was habe ich mit einem Wildtier Wochenmarkt oder einem Labor am anderen Ende der Welt zu tun? Kaum einer hat es verstanden und sogar heute gibt es immer noch keine in sich geschlossenen wissenschaftlich fundierte Erklärungen, aber viele Vermutungen.
Einige Theorien kamen leicht von der Hand: Die von uns ausgebeutete Natur schlägt zurück. Die letzten unberührten Flecken dieser Erde und Rückzugsgebiete von Wildtieren werden urbanisiert und wir Menschen haben die Konsequenzen in Form von Krankheiten zu tragen, die wir bisher nicht kannten. Ein Leck in einem Labor.
Oder auch Verschwörungstheorien über mächtige Kräfte/Personen/Vereinigungen, die die Vorteile einer Pandemie und deren Folgen für sich nutzen, um die Menschen zu kontrollieren und Marionettenhaft zu versklaven.
An den meisten Theorien mag etwas dran sein. Wir werden abwarten müssen, was die Forschung herausfindet. Letztere Theorie erscheint mir jedoch völlig abstrus und entbehrt jeglicher Grundlage und logischer Erkenntnis.
Und auch yogischer Erkenntnis. Denn leider neigen viele „Yogis“ zu dieser Theorie. Warum kann ich nicht sagen. Ich habe versucht, es zu verstehen, leider ohne Erfolg. Dennoch, wer sich da einlesen möchte, hier ein lesenswerter und kontrovers diskutierter Beitrag.
Wie haben wir reagiert?
Das Gefühl zuhause eingesperrt zu sein, allein oder mit Familie, die Ungewissheit, Existenzängste, all das hat vielen zugesetzt. Oder das Auf und Ab der täglichen, manchmal stündlich wechselnden Stimmungslage. Überraschend auch zu lesen, dass neuere Umfragen ergeben: nicht wenigen ging es besser in dieser Zeit!
Und dann sind da noch die Menschen, die ich in den vergangenen Monaten für ihre Haltung bewundert habe. Ich halte sie für wahrhaftige Yogis*. Ich wünsche mir, es mögen mehr und mehr werden. Hier einige Beispiele:
Meine Freundin, die Grundschullehrerin, die mit ihrem Mann, zwei erwachsenen Söhnen und einem Kind in einer viel zu kleinen Wohnung mitten in der Stadt lebt und mit ihrem Gehalt die ganze Familie ernährt. Und nebenbei studiert. Und diese schwierige Zeit mit Fassung getragen hat.
Eine bekannte Yogalehrerin, die mir schrieb, wie zu Beginn der Pandemie ihre Beziehung zerbrach, sie mit Vollgas und allen Symptomen in die Wechseljahre raste, ihr Vater am anderen Ende der Welt an Krebs erkrankte und ihrer besten Freundin eine tödliche Diagnose gestellt wurde. Und die (Yogalehrerin) weiterhin allen Menschen Mut zusprach.
Meine Schwägerin, eine Ärztin, deren 23-jähriger Sohn mit Lungenentzündung und COVID 19 Diagnose (aber erst nach mehreren negativen Tests) zwei Wochen auf der Intensivstation lag, beatmet wurde und sich nur langsam erholt hat. Und die nach zwei-wöchiger Quarantäne wieder zur Arbeit ging**.
Mein Sohn, der auch während der Quarantäne im Supermarkt gejobbt hat. (Ich muss an dieser Stelle ergänzen: Gegen meinen Willen.) Er war einer derjenigen, die „den Laden am Laufen gehalten haben“ und hat mit seiner positiven und hilfsbereiten Art vielen „seiner“ Kunden kleine Lichtblicke in dieser Extremsituation beschert***.
Was habe ich gemacht?
Ich habe Yoga praktiziert. Und das hat mir in dieser Zeit mehr als geholfen. Natürlich war ich des öfteren frustriert und fassungslos, ratlos. Aber das jahrelange Üben von Yoga und Meditation hat mir einen Rahmen, einen Rückhalt gegeben.
Yoga hat mir geholfen, eine tägliche Routine in einem ungewohnten und ungeplanten Tagesablauf beizubehalten. Und auch fürsorglich mit mir selbst umzugehen (self care). Ich war in der Lage, Abstand zu nehmen und zu reflektieren, ich war widerstandsfähig (resilient) und konnte offen und stabil bleiben, anstatt dicht zu machen. Und ich konnte mich um Andere kümmern, denen es schlecht ging. Dank Yoga!
Wer werden wir sein?
CORONA hat uns alle verändert. Unsere Art zu leben und zu arbeiten, in die Zukunft zu schauen und Prioritäten zu setzen. Wer werden wir sein? Die Frage mag jeder für sich beantworten.
Für mich bleibt wieder einmal die Erkenntnis: Yoga ist ein faszinierendes Werkzeug. Es hilft uns, physisch, emotional und psychisch gesund zu sein und zu bleiben. Es hilft uns, flexibel zu sein und nicht zu verharren. Es hilft uns, für andere da zu sein.
Es gibt Menschen, die tragen es in sich. Wir anderen müssen üben. Ein guter Freund von mir sagt: Wir praktizieren Yoga, damit der Körper gesund ist und die Seele gerne darin wohnen mag. Das stimmt.
Aber Yoga zu praktizieren heißt viel mehr. Es heißt auch, anzusammeln, sich zu rüsten oder besser noch einzuzahlen: auf das „seelische“ Konto. Um davon zu zehren, zu profitieren, eine stabile Basis zu haben, wenn die Zeiten hart sind, wenn andere „Einkünfte“ entfallen.
Wenn es uns gut geht, ist die Praxis wunderbar, inspirierend und fühlt sich gut an. Aber wofür wir eigentlich praktizieren sind die Zeiten, in denen es nicht gut läuft. Wenn die Dinge, unser Leben aus dem Ruder läuft und wir einen Anker brauchen. Darum üben wir Yoga.
Ich wünsche uns allen mehr Yoga im Leben!
Yoga beginnt immer jetzt!
Sei ein Yogi, sei es jetzt!
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* Unter Yoga verstehe ich in erster Linie eine Lebenshaltung und einen Bewusstseinszustand. Daher sind für mich auch viele Menschen Yogis, die nicht unbedingt das klassische Yoga praktizieren.
Dennoch beinhaltet Yoga für mich auch Lebensführung, dessen Grundlage die klassische Yogaphilosophie nach Patanjali und der acht-gliedrige Pfad sind: Der Umgang mit der Welt, der Umgang mit sich selbst, der Umgang mit dem Körper, der Umgang mit dem Atem, der Umgang mit den Sinnen, der Umgang mit dem Geist, Konzentration, Meditation und innere Freiheit.
** Die Ansteckung erfolgte wahrscheinlich über die Mutter, die vor Ausruf des Lock-down an einem Ärzte-Kongress teilgenommen hatte. Dort wiederum war ein Arzt anwesend, der seinen Kollegen erzählte, er habe den Grenzübertritt von Deutschland nach Italien nur mit Hilfe von fiebersenkenden Mitteln „geschafft“. Überflüssig zu erwähnen, dass dieser Arzt später positiv getestet wurde und nicht nur auf diesem Kongress, sondern auch in der Folge viele Menschen infiziert hat.
*** Er macht seinen Job richtig gut. Und er hat seine Gesundheit riskiert. Außer ein wenig Beifall hat ihm dies keinerlei Vorteil oder Anerkennung gebracht. Ich bin so dankbar, dass er gesund ist. Und ich bin so stolz ihn!